Die Alemannia-Doku, Teil 1
Aachener Turn- und Sportverein Alemannia von 1900 e.V. – was für ein Name! Was für eine Geschichte! Was für ein Verein!
Fast 110 Jahre Tradition, Leidenschaft, Treue und Liebe. Von Beginn an ein Verein, der berührte. Nicht nur in Aachen, nein, auch über die Grenzen hinweg in Belgien und Holland. Vermutlich hat „die Alemannia“, deren Name das Deutschtum im äußersten Westen des damaligen preussischen Kaiserreich verdeutlichen sollte, viel mehr für Völkerverständigung und ein Europa ohne Grenzen getan, als sich ihre Gründer haben vorstellen können. Im Gegenteil: Es war noch nicht einmal deren Absicht. Und doch hat dieser Verein so viele Freunde auf belgischem und niederländischem Boden, wie kaum ein anderer deutscher Club. In ihm spiegelt sich die Mentalität einer ganzen Region. Von Maastricht über Lüttich hinunter bis nach Malmedy, quer durch die Eifel nach Euskirchen, Düren, Jülich und Heinsberg bis Sittard und Kerkrade – dies ist das große Einzugsgebiet.
Mit dieser kleinen Serie wollen wir an 10 Jahre Alemannia Aachen erinnern. 10 Jahre, in denen mehr geschehen ist, als andernorts in 50, 70 oder 100 Jahren. Aufstieg, Abstieg, Freude, Trauer, Skandale und Skandälchen, Bankrott und Auferstehung – all dies gebündelt in weniger als 10 Jahren oder 120 Monaten oder 520 Wochen…
Wir beginnen unsere Reise im Juni 2002, um dort sofort in das 1999 einzutauchen. Das damalige Mitglied des Internetstammtischs und heutige Aufsichtsratsmitglied Jürgen Frantzen veröffentlichte seinerzeit die Dokumentation „Än se krejje os net kapott – oder doch?“, Alemannia Aachen zwischen 1999 und 2002. Gerne bringen wir sie, so als Weihnachtslektüre, noch einmal in Erinnerung. Hiernach wird ein zweiter Autor anschließen, der uns seine Sicht der Alemannia-Entwicklung seitdem näher bringt.
Übrigens: Die in den Texten verfassten Meinungen geben nicht zwingend die Meinung des IG-Vorstandes oder irgendeines IG-Mitgliedes wieder.
Nun aber: Vöel Freud’…
Än se krejje os net kapott – oder doch? … der Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme der letzten Jahre. Eine Serien-Dokumentation von Jürgen Frantzen. Dank auch an die AZ und AN für die Freigabe von Auszügen der damaligenSonderbeilage „Aufstieg 1999“.
Editorial
Die Saison 2001/02 ist – zumindest aus sportlicher Sicht – Geschichte. Aber rund um den Tivoli herrscht noch keine Ruhe. Das seit dem Rücktritt des 100-Tage-Vorsitzenden Theo Lieven nur noch aus drei Personen bestehende Präsidium ist dabei, die Scherben einer abgelaufenen Spielzeit zusammen zu kehren und die Voraussetzungen für eine kommende Saison in der Zweiten Deutschen Fußballbundesliga zu schaffen. Dies ist nicht ganz einfach: eine Bürgschaft von rund 2 Mio. € muss beigebracht werden – außerdem muss sich die Liquidität des Vereins deutlich verbessern; von Spielerverkäufen ist die Rede. Gleichzeitig aber muss – im angestrebten Fall der Lizenzerteilung – ein sportliches Fundament für das harte Profigeschäft in Liga 2 in Form einer konkurrenzfähigen Mannschaft geschaffen werden. Ein nicht einfacher Spagat für die Vereinsadministration um die verbliebenen Präsidiumsmitglieder Wolfgang Hammer, Horst Heinrichs und Carlo Soiron.
Die Geschehnisse des vergangenen Jahres – sowohl auf als auch neben dem Spielfeld – machen aus meiner Sicht eine einigermaßen systematische Aufbereitung erforderlich. Vordergründig hätte es dabei sicher ausgereicht, mit den Schilderungen irgendwann im Spätsommer 2001 zu beginnen. Schnell aber stellte sich heraus, dass die Ursachen für das Chaos rund um den altehrwürdigen Tivoli tiefer liegen und nicht auf die vergangenen rund neun Monate beschränkt werden können. Schon vorher gab es Alarmzeichen, Irrungen und Wirrungen. Man denke an den Fanprotest, der im Frühjahr 2001 stattfand; man denke auch an die verschiedenen unsensiblen Auftritte des „alten“ Präsidiums im Zusammenhang mit der geplanten Tivoliertüchtigung, deren Pläne der staunenden Öffentlichkeit im Herbst 2000 vorgestellt wurden. Für eine Analyse des derzeitigen Zustands der Alemannia reicht also ein Rückblick in den Sommer 2001 nicht aus.
Die Bestandsaufnahme über die Situation am Ende der Saison 2001/02 setzt daher deutlich früher an:
Teil 1: Auferstanden aus Ruinen …
Teil 2: … und der Zukunft zugewandt?
Teil 3: Verlorener Kredit bei den Fans
Teil 4: Zeitenwende im Herbst 2001
Teil 5: Eiskalter Winter
Teil 6: Zwischen Hoffen und Bangen
Teil 7: Die Lizenzentscheidung und die Folgen
Teil 1: Auferstanden aus Ruinen … Enttäuschung gegen Paderborn und die anschließende Serie
· Der rettende Scheck der Kinowelt
· Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt
Sonntag, 28. Februar 1999: 65 Minuten sind gespielt in der Regionalligapartie der Alemannia gegen den SC Paderborn und es steht 0:3. Auch für die optimistischsten der rund 2.800 Fans auf dem Tivoli steht spätestens jetzt fest, dass es wieder mal nichts wird mit dem Aufstieg in die Zweite Liga. Die Mannschaft um Trainer Werner Fuchs steht mit 31 Punkten lediglich im vorderen Mittelfeld der Tabelle. Aber nicht die sich nun anbahnende Niederlage gegen die Ostwestfalen aus Paderborn allein beendet die Hoffnungen auf Versetzung in die Zweite Liga; sie komplettiert lediglich die zuvor schon erlittenen Rückschläge gegen die Amateure des 1. FC Kaiserslautern (0:2 in der Vorwoche) und den 1. FC Saarbrücken (ebenfalls 0:2, aber noch vor der Winterpause) und bedeutet somit das Ende aller Aufstiegsträume. Zurück zur Schilderung des Spiels gegen Paderborn: zwar gelingt Henri Heeren in der 68. Minute der 1:3-Anschlusstreffer und kurz vor Schluss verkürzt gar Andreas Bluhm auf 2:3. Die Niederlage jedoch steht fest und damit wohl auch der verpasste Aufstieg. Immerhin scheint aber das finanzielle Überleben vorerst gesichert: nach jahrelanger Ebbe in der Vereinskasse präsentiert im Spätherbst des Jahres 1998 der Filmrechteverwerter Michael Kölmel der Öffentlichkeit ein Finanzierungsmodell, mit dem er erfolglose, aber traditionsreiche Clubs wieder ins Rampenlicht des deutschen Sports zurückführen will. Auch die Alemannia aus Aachen gehört zu den Vereinen, die vom warmen Geldregen der Firma Kinowelt profitiert. So sichert ein Kölmel-Scheck das Überleben des Vereins, der noch wenige Monate zuvor kurz vor dem Gang zum Konkursrichter stand. Vielleicht, so die Fans, wird es 2000 ja etwas mit dem Aufstieg – passend zum 100jährigen Jubiläum der Alemannia. Mit Superlativen soll man bekanntlich vorsichtig umgehen – aber in den folgenden Wochen des Frühjahrs 1999 ereignet sich wahrlich Sensationelles. Ein Sieg nach dem anderen wird eingefahren, Platz für Platz kann in der Tabelle erklommen werden, immer mehr Zuschauer finden den Weg zum Tivoli. Am 7. Mai 1999, nur 68 Tage nach der eingangs beschriebenen Niederlage gegen den SC Paderborn, wird mit einem 1:0-Sieg gegen Preußen Münster vor über 20.000 Zuschauern der neunte dreifache Punktgewinn in Folge gefeiert. Der nicht mehr für möglich gehaltene Aufstieg in die Zweite Bundesliga rückt in greifbare Nähe. Eine seit Bundesligazeiten nicht mehr da gewesene Euphorie ist um den Tivoli zu spüren. Diese hält genau vier Tage an, um dann einer bodenlosen Trauer zu weichen.
„Mr. Alemannia“, Werner Fuchs, langjähriger, verehrter und bewunderter, ja geliebter Trainer des Vereins, stirbt am 11. Mai 1999 beim gemeinsamen Waldlauf mit seiner Mannschaft. Eine Stadt weint um einen Menschen, der – wie wohl kaum einer vor ihm – die Alemannia und seine Fans repräsentiert. Werner Fuchs ist viel mehr als ein Angestellter eines Clubs, er ist Kopf und Herz seines Vereins. Wohl kaum zuvor haben die Fans der Alemannia so sehr die breite Palette aller denkbaren Gefühlsregungen in so kurzer Zeit erlebt. In den noch ausstehenden Spielen (nach dem 2:0 bei der SpVgg. Erkenschwick und dem 3:1 gegen den Wuppertaler SV wächst die Siegesserie auf elf Spiele an; zum Abschluss gibt es dann noch eine – bedeutungslose – 0:2-Niederlage beim LR Ahlen) wird der Aufstieg, der auf ewig mit dem Namen Werner Fuchs verbunden bleibt, perfekt gemacht.
Fortsetzung am 23.12., 10:00 Uhr