Die Alemannia-Doku, Teil 10

Teil 10: Alemannia 2000 – zwischen Wahnsinn und Genie von Axel Schaffrath

· 02/03 Der plötzliche Aufschwung
· 03/04 Herbstmeister mit Geisterspiel und Dopingaffäre

Der plötzliche Aufschwung

In die vierte zweitliga Saison ging es mit einer peinlichen Pokalauftaktniederlage (0-1) beim badischen Oberligisten SC Balingen. Geschickt hatte der Manager Jörg Schmadtke die Mannschaft in der Sommerpause trotz weniger finanzieller Mittel verstärkt, Bernd Rauw an den Bundesligaaufsteiger Bielefeld verkauft und dafür Spieler wie Eric van der Luer, George Mbwando, Quido Lanzaat und Miro Spizak verpflichtet. Kurz vor Beginn der Saison kam auch noch der Bundesliga erfahrene Alexander Klitzpera an Board. Die Saison startete holperig, allerdings spielerisch auf einem deutlich besserem Niveau. Der erste Sieg konnte erst am 5. Spieltag mit 2-0 gegen den KSC eingefahren werden, in einem tollen Spiel verschenkte der TSV zwei Punkte in Duisburg (zwei Ebbers Gegentore) und nach einer Auswärtsklatsche in Trier folgten 5 Siege in Folge und Alemannia stand bei dem Auswärtsspiel in Mainz vor dem Sprung auf einen Aufstiegsplatz. Natürlich musste etwas passieren: bei Trainer Jörg Berger wurde in einer Routineuntersuchung Darmkrebs diagnostiziert! Sein Assistent Frank Engel musste übernehmen und in einem echten Spitzenspiel besiegten die Mainzer Alemannia mit 3-1. Nach Wochen des Höhenfluges kam der TSV schnell auf den Boden der Tatsachen zurück, zu Hause unterlag man dem designierten Absteiger Waldhof Mannheim mit 1-2. Doch Aachen kam zurück und stellte im letzten Vorrundenspiel mit einem 4-1 beim Bundesligaabsteiger St. Pauli (in absoluten Minus Temperaturen -minus 12° bei Anstoß) den Kontakt zur Spitzengruppe wieder her. Die Winterpause wurde beherrscht von dem Hick Hack um den Stürmer Ermin Milunovic, der bei Mainz auf dem Abstellgleis stand aber nicht ohne Ablösesumme zur Alemannia wechseln sollte. Schließlich gab es kurz vor Beginn der Rückrunde doch noch einen Neuzugang: vom amtierenden deutschen Meister Borussia Dortmund wurde der als großes Talent gepriesene Emanuel Krontiris ausgeliehen.

Nach zwei Unentschieden zum Auftakt ging es an einem Montag zum rheinischen Duell in die Baustelle nach Müngersdorf. Die Cöllner hatten das Spiel im Griff und führten nach 66. Minuten mit 3-0 ehe der kurz zuvor eingewechselte Krontiris das 1-3 erzielte, der “Ehrentreffer“ da war sich jeder im Stadion sicher! Dann kam plötzlich echte Derby Stimmung auf, innerhalb von 120 Sekunden flogen Cichon und Lanzaat vom Platz und „Emu“ machte seine zweite Kiste zum 2-3. Kurz vor Schluß dann die Sensation: Krontiris machte das 3-3 mit einem lupenreinem Hattrick und ließ nur noch die Öcher feiern.

Aachen konnte in der Folge nicht konstant punkten, vor allem Heinniederlagen gegen Burghausen und Trier verhinderten dass der TSV dicht oben dran blieb. Nach drei Niederlagen in Folge (Lübeck, Braunschweig (H) und Berlin) war Alemannia aus dem Aufstiegsrennen ausgeschieden. Die Saison ging einigermaßen unspektakulär zu Ende, wenn man mal von den bemerkenswerten 18 Saisontoren von Jupp Ivanovic absieht. Jupp beschloss seine 18 Tore in Duisburg zu veredeln und verließ Alemannia, genau wie Miro Spizak. Aachen beendete die Saison auf dem 6. Platz, was nach der vorherigen Saison eine absolut tolle Leistung war!

Herbstmeister mit Geisterspiel und Dopingaffäre

Nach einer für Aachen eher ungewöhnlich ruhigen Saison ging es in der nächsten dafür wieder richtig auf und ab. Schon zum Ende der letzten Runde machte das Gerücht die Runde dass Jörg Schmadtke Erik Meijer zum Tivoli holen wollte. Dieser Name brachte die Fans in Verzücken, ein Spieler der in Eindhoven, Uerdingen, Leverkusen, Liverpool und Hamburg immer die Massen begeisterte plötzlich in Aachen? Er kam wirklich und mit ihm auch Kai Michalke und Stefan Blank, zusätzlich noch ein Stürmer aus der zweiten französischen Liga namens Daniel Gomez.

Der Auftakt in die Saison gestaltete sich noch schwierig, gegen Burghausen und Mainz gab es nur schmeichelhafte Unentschieden und auch in der ersten Pokalrunde setzte man sich beim Regionalligisten RW Erfurt eher glücklich nach Elfmeterschießen durch. Dem mühevollen Sieg gegen Aue (1-0 vor knapp 10.000 Zuschauern) folgte eine „historische“ Klatsche in Fürth: Mit 1-7 kassierte die Alemannia die höchste Niederlage in ihrer Zweitligageschichte. Man musste schlimmes befürchten, doch die Mannschaft raufte sich zusammen! Gegen Duisburg (2-1,H) und Lübeck (5-3,A) wurden jeweils 3 Punkte eingefahren und an einem Montagabend besiegte Alemannia den starken Aufsteiger Unterhaching mit 5-1. Alexander Klitzpera erzielte danach in Regensburg an seinem 26. Geburtstag beide Tore zum 2-1 Sieg und rette kurz vor Schluss mit einer beherzten Grätsche vor der Linie den Erfolg. Als am Tivoli die Trierer mit 2-0 besiegt wurden begrüßte Alemannia plötzlich als Tabellenführer die Münchner Löwen zum Pokalspiel auf dem Tivoli. In einem richtigen Pokalfight wurden die 60er mit einem echtem Elfmeterkrimi besiegt – auch zu diesem Knaller war der Tivoli aber nicht ausverkauft! Eine Niederlage bei Union Berlin stoppte die Siegesserie vor den beiden eminent wichtigen Heimspielen gegen die Bundesligaabsteiger Bielefeld und Nürnberg. Es war allerdings eitel Sonnenschein an der Krefelderstraße und sehr ruhig, verdächtig ruhig!

In einem zähen, dichten Spiel gegen die Ost Westfalen behielt Alemannia dank eines Treffers des eingewechselten Daniel Gomez mit 2-0 die Oberhand und empfing am Montag danach den 1.FC Nürnberg zum Top Spiel! Es war wieder en Kampfspiel mit toller Atmosphäre, das mit dem 1-0 durch Gomez richtig in Schwung kam. Nur ein paar Minuten nach der Führung zog der Schiri nach einer Kollision zwischen Erik Meijer und Raphael Schäfer die gelb rote Karte für den Öcher Volkshelden. Das brachte die Seele der Fans so richtig zum kochen und es flogen Bierbecher als Protest aufs Spielfeld, natürlich nicht nur an der Seite des WüWa sondern auch von der Überdachten. Hier standen zu dieser Zeit auch die Auswechselbänke der Mannschaften und die Nürnberger Spieler – allen voran Martin Driller – reagierten alles andere als besonnen und warfen Gegenstände zurück ins Publikum. Das wirkte natürlich nicht de-eskalierend und die Situation schaukelte sich dramatisch hoch, plötzlich lag der Club Trainer Wolf am Boden, „besinnungslos“! Die umstehenden Ordner begannen sofort die nahe Umgebung nach Mike Tyson oder Vitali Klitschko abzusuchen, außer ein paar Zigaretten Filtern fanden sie allerdings nichts. (Anders als der findige Club Präsident Michaela Roth der schwubs ein eigenes Feuerzeug aus der Tasche zauberte und dann schell ein paar Schrauben aus der Trainerbank schraubte um sie demonstrativ in die Kamera zu halten) Der Schiedsrichter machte dann zunächst das einzig richtige und schickte die beiden Mannschaften in die Kabine. Nach ca. 10 Minuten wurde das Spiel fortgesetzt, die Nürnberger mit einem Mann mehr drängten auf den Ausgleich, vergaben aber beste Chancen und es blieb beim 1-0 für Aachen. Der Trainer des Clubs erholte sich relativ schnell wieder und konnte schon am Mittwoch wieder das Training leiten – das obwohl Dienstags Trainingsfrei war.

DFB und DFL, das Fernsehen sowie die gesamte Presse in Deutschland empörten sich am nächsten Morgen über das „Skandalspiel“ am Tivoli und hatten endlich ihre gefundenen Schlagzeilen, konnten Spalten und Sendungen füllen. Natürlich wurde gegen die Wertung des Spiels Protest eingelegt, es kam zu einer Verhandlung vor dem Sportgericht. Vorher aber kam es noch „knüppeldicker“ für die gerade auf einer positiven Welle schwimmende Alemannia: Daniel Gomez war nach dem Spiel gegen Bielefeld durch die Dopingprobe gefallen und auch hier drohte dem Verein und dem Spieler Ungemach.

Ich mache es kurz: Der vorsitzende Richter Rainer Koch verstand keine Spaß und annullierte das „Skandalspiel“, verdonnerte Alemannia zu einer hohen Geldstrafe und ordnete eine Wiederholung ohne Zuschauer an! Daniel Gomez wurde ebenfalls mit einer Geldstrafe belegt und für längere Zeit gesperrt, die Punkte aus dem Spiel gegen Bielefeld durfte Alemannia behalten.

Das nächste Spiel gegen Osnabrück ging mit 1-3 an der Bremer Brücke verloren und es ging zum Regionalliga Spitzenreiter Eintracht Braunschweig in die nächste Pokalrunde. Die Braunschweiger hatten in der zweiten Runde den Bundesligisten Hannover 96 rausgeworfen und der TSV trat mit gebotenen Respekt an der Hamburger Straße an, erledigte die Aufgabe aber souverän mit 5-0 und zog ins Viertelfinale ein. Fürs nächste Heimspiel hatte der Verein dann eine tolle Überraschung parat: Die Stehplatzränge waren ganz mit Netzen umgeben, ein Werfen von Gegenständen war jetzt unmöglich. Die Partie gegen Oberhausen war verbissen und umkämpft, wurde aber mit 1-0 gewonnen. Einem trostlosen 0-0 in Ahlen folgte ein noch trostloseres 0-0 daheim gegen den KSC, mit dem Wiederholungsspiel im neuen Jahr hatte Alemannia doch noch die Chance auf die Herbstmeisterschaft. Wenn alles schlecht läuft kommt meistens noch was gutes daher und das kam kurz vor Weihnachten in Form der Pokalauslosung! Alemannia bekam ein Heimspiel gegen den großen FC Bayern gelost und innerhalb weniger Minuten lief mein SMS Speicher (der damals noch recht begrenzten Mobiltelefone) voll. Eine Reaktion die sicher viele andere Fans ebenfalls erlebt haben: Auf einmal meldeten sich Menschen die ja schon immer mal zum Tivoli gehen wollten und nun dieses Spiel zum Anlass nehmen wollten, den „ewigen“ Wunsch Realität werden zu lassen! (Eine ähnliche Reaktion zeigte auch das Faxgerät auf der Geschäftsstelle). Die Bayern waren das letzte Mal am 25.10.1969 zu einem Punkt- oder Pokalspiel zu Gast und gewannen damals locker und leicht mit 3-1 (Tore: Schwarzenbeck, Müller und Beckenbauer, Jupp Kapellmann für die Alemannia) Diese Partie repräsentierte damals immerhin Meister des Vorjahres (FC Bayern nach ihrer ersten Bundesligameisterschaft und zweiten überhaupt) gegen Vizemeister – die Wege gingen weit auseinander wie jeder weiß, Alemannia verabschiedete sich in dieser Saison (nach 3 Jahren) aus der Bundesliga für relativ lange Zeit. Es folgten wilde Spekulationen wo das Spiel denn ausgetragen werden könnte, Dortmund, Schalke oder Köln wurden als mögliche Spielorte genannt. Doch die Verantwortlichen machten das einzig richtige und erklärten klar und deutlich dass es zum Tivoli keine Alternative geben würde.

In der Winterpause wurde die Mannschaft durch Christian Fiel und Bachirou Salou verstärkt und es baute sich eine unglaubliche Spannung für die Rückrunde auf. Das Geisterspiel wurde selbstverständlich „live“ im Fernsehen übertragen und gerechterweise gewann der TSV dieses Spiel ebenso wie die annullierte Version. Salou erzielte den glücklichen aber nicht unverdienten Siegtreffer gegen die etwas spielerisch besseren Clubberer und sicherte dem TSV damit nachträglich die Herbstmeisterschaft.

Fortsetzung am 08. Januar, 10:00 Uhr

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