Die Alemannia-Doku, Teil 18

Teil 18: Alemannia 2000 – zwischen Wahnsinn und Genie von Axel Schaffrath

· 09/10 Das neue Stadion
· 09/10 Neues Präsidium, neuer Manager, neue Euphorie?

Das neue Stadion

Es war eine Monumentalleistung dieses Stadion zu bauen, es gab viele Hürden zu überwinden. Eng, steil und laut sollte es sein und den alten Tivoli schnell vergessen machen. Eine solide Grundlage für ein wirtschaftliches Fundament um im Profifußball auch die nächsten Jahre erfolgreich im Wettbewerb zu bestreiten.

Mit dem FC St. Pauli kam ein attraktiver Gegner, das Montagabendspiel sorgte für eine bundesweite TV Präsenz bei der Eröffnung des neuen Stadions. Die Vorfreude war groß, das Kribbeln gewaltig und als es endlich soweit war gab es erst mal ungläubiges Staunen. Von innen war das ausverkaufte Stadion einfach toll – zumindest im ersten Moment. Es gab endlich (anders als im alten Tivoli) eine Fankurve mit geballter Stimmstärke, die Anfeuerung von den Stehplatzrängen war gewaltig und laut. Vergessen alle negativen Stimmungen, Querelen und Probleme, jetzt hieß es das neue Stadion genießen. Die ersten Minuten begannen schwungvoll in einer tollen Atmosphäre mit einigen schönen Spielzügen und Chancen für den TSV. Vergessen hatten aber wohl alle auch Marius Ebbers, der nach der temporeichen Anfangsphase das erste Tor auf dem neuen Tivoli erzielte – was angesichts seiner Treffsicherheit gegen den TSV keine echte Überraschung sein konnte. Überraschend war aber das was danach passierte: Alemannia ließ sich orientierungslos ausspielen und -kontern, sie wurde am Ende der ersten Halbzeit völlig an die Wand gespielt und ging mit 0-4 in die Pause. Härter konnte die Ernüchterung wohl kaum sein, effektiver konnte die Euphorie um das neue Stadion wohl kaum zerstört werden. Am Ende kam Alemannia sportlich mit 0-5 noch erträglich unter die Räder, als aber bei den Jubelszenen der Pauli Fans ein Anhänger von der Balustrade fiel und sich schwer verletzte, hatte der Abend ein entsetzliches Ende und Ausrufezeichen bekommen.

Es war schwer sich von diesem Abend zu erholen und mit der Normalität weiter zu machen. Diese Niederlage war eine Demütigung, zu groß waren die spielerischen Defizite und die Überlegenheit des FC St. Pauli an diesem Abend (und das mit einigen Ex Alemannen wie Lehmann, Ebbers, Bruns, Gunesch…). Dieser Euphoriekiller verdunkelte schnell auch den rosaroten Blick auf das neue „Superstadion“ – man kam sich vor wie in des „Kaiser’s neue Kleider“. Es ist anders in diesem Stadion, die Art und Weise Fußball zu schauen und zu genießen für alt eingesesene Alemannia Fans, vorsichtig ausgedrückt doch gewöhnungsbedürftig. In den ersten Spielen im neuen Stadion war schnell klar geworden, dass vieles was mit Alemannia Aachen verbunden war auch eng mit der alten Spielstätte verknüpft war – es ist als wenn wir seit dem auf der Suche nach einer neuen Identität wären.

Zurück zum Fußball: In Kaiserslautern erkämpfte die Mannschaft zwar ein Unentschieden, aber die Spielweise erinnerte keinesfalls an eine selbstbewusste Truppe, die durch ihr Auftreten den Gegner dominieren kann, sondern an eine Mauertaktik hoffnungslos unterlegener Gegner auf dem Tivoli aus den erfolgreichen Jahren. Immer offensichtlicher waren die sportlichen Probleme dieses Kaders, das Verhältnis zum Trainer war mehr als gestört. Ein völlig neues Erlebnis gab es dann im nächsten Heimspiel gegen FSV Frankfurt zu bestaunen: Mit 23.000 Zuschauern wirkte das neue Stadion gähnend leer, vor allem hinter dem Gästetor grüßte eine total verwaiste Tribüne. Zu Hause auf eine leere Tribüne zuzuspielen war für Alemannia 2010 völlig ungewohnt und nie dagewesen, das muss ein absolut lähmendes Erlebnis für die Fußballer gewesen sein. Es war jedenfalls ein Auftritt zum vergessen, vor allem in der zweiten Halbzeit. Die sportliche Leitung versuchte das Spiel noch schön zu reden (das Ergebnis zählt) doch in den Tagen danach spitzte sich die Lage zu und nach einem Gespräch mit der Mannschaft musste Bornemann Jürgen Seeberger entlassen. Für Bornemann war das ein erstaunlich offensiver Auftritt – hatte er sich doch nach dem Debakel gegen St. Pauli dezent zurück gehalten. Co Trainer Willi Kronhardt übernahm vorübergehend das Training und Bornemann veröffentlichte das Anforderungsprofil für den neuen Trainer – demnach gab es Hoffnung auf einen erfahrenen, erfolgreichen Coach am Ruder der Alemannia.

Nach einem leblosen Auftritt in Oberhausen kündigte der Interimstrainer eine harte und ungemütliche Woche an und bemängelte, dass gerade von den Spielern die bei der Entlassung des Trainers nach vorne geprescht waren, nichts zu sehen war. Den neuen Trainer wollte der Manager nach dem 2-0 Heimsieg gegen 1860 München präsentieren. Aufgeregt und mit Spannung verfolgten viele Alemannia Fans die Entwicklung, als einer der Favoriten wurde Mike Büskens gehandelt. Als in der Presse der Bericht kam dass Bornemann dem Aufsichtsrat zwei Kandidaten (die allerdings mit dem Anforderungsprofil nichts mehr zu tun hatten) – Peter Vollmann und Michael Krüger- vorgeschlagen hatte, zeigte sich viel Unverständnis und eine harte Ernüchterung bei den Fans. Diese beiden Namen standen nicht für Aufbruch, einen positiven Ruck nach vorne sondern klangen im ersten Moment nach Not- oder Billiglösung.

Nun, der AR schmetterte den Wunschkandidaten Peter Vollmann ab und nahm die andere Alternative – auch ein Fingerzeig in Richtung Bornemann, der zunächst große Hoffnungen mit seinen vollmundigen Ankündigungen geschürt hatte! Michael Krügers erster Auftritt in Frankfurt beim DFB Pokalspiel ging gründlich daneben – der TSV spielte ohne Abwehr und Konzept und lag kurz nach der Pause mit 1-5 hinten. Krüger bewies Mut bei diesem Spielstand und wechselte alle offensiven ein, die es in Aachen gibt und sein Team kam auf 4-5 ran, allerdings gab es keine Chance auf ein Weiterkommen, denn ein Elfmeter in der letzten Minute besiegelte das Pokalaus. Was sollte man aus diesem Spiel mitnehmen? Hoffnung oder Angst?

Das reizvolle Duell gegen den überraschend starken Aufsteiger Fortuna Düsseldorf war jedenfalls langweilig und endete torlos – der folgende Auftritt daheim gegen Cottbus war spielerisch eine echte Leistung, die leider nicht vom Erfolg gekrönt war. Ein Auer allein reicht nicht, der TSV scheiterte mehrfach an dem Versuch das zweite Tor zu erzielen und ließ einige hochkarätige Chancen aus, am Ende stand ein mageres 1-1.

Der zu erwartenden Niederlage in Bielefeld wurde allenthalben etwas positives abgerungen, das sich allerdings nicht im Heimspiel gegen Union Berlin widerspiegelte. Alemannia Aachen präsentierte sich ideen-, konzeptlos und leicht auszuspielen, so konnte der Aufsteiger leicht und locker mit 4-1 drei Punkte vom Tivoli entführen. Am Rande notiert sei, dass das letzte Tor der Berliner nicht nur bei den Zuschauern für ungläubiges Staunen sorgte, es war sicher auch eins für die Kuriositätenshow.

Nach diesem Spiel kamen erste Zweifel am neuen Trainer auf – ist das der richtige Mann für Alemannia? Die Abstiegsränge waren jedenfalls bedrohlich nahe gekommen und er hatte während der zweiten Halbzeit einen eher ratlosen Eindruck gemacht. Wer gedacht hatte, dass dieser Auftritt den Manager auf den Plan gerufen hätte um ein paar deutliche Worte in Richtung Mannschaft zu senden, der lag falsch. Von Bornemann kam nichts, gar nichts. Keine guten Aussichten für die kommende außerordentliche Jahreshauptversammlung – glücklicherweise wurde durch den unerwarteten Auswärtssieg in Augsburg etwas Druck aus den Segeln genommen

Neues Präsidium, neuer Manager, neue Euphorie?

Die außerordentliche verlief – abgesehen vom etwas merkwürdigen Stimmenauszählverhalten des demokratischsten Vereins Deutschlands – größtenteils ruhig und alle Kandidaten wurden gewählt (mit mehr oder weniger notwendiger Mehrheit). Die Location (Reithalle in der Soers) war auch etwas gewöhnungsbedürftig, aber den Verein übernimmt ein unverbrauchtes Gesicht und steht so für einen Neuanfang. Dr. Alfred Nachtsheim wird Präsident und überzeugt die Mitglieder mit einem positiven Auftritt nicht nur an diesem Abend.

Sportlich gab es allerdings wenig überzeugende Leistungen zu vermelden: Knapper Sieg gegen Hansa Rostock, absolut schwaches Auftreten in Koblenz und einem unfassbaren spielerischen Tiefpunkt zu Hause gegen Rot Weiß Ahlen. Zwei Tage vor diesem Spiel preschte der Geschäftsführer der GmbH Fritjof Kraemer an die Presse und verkündete die kommende Vertragsverlängerung mit Andreas Bornemann, dem der Geschäftsführer überzeugende Arbeit in allen Eben bescheinigte, sorget für Überraschung und einiges unverständliches Kopfschütteln. Diese überzeugende Arbeit ließ sich wohl kaum auf dem grünen Rasen ablesen, denn nach dem 0-2 Debakel gegen die Ahlener zog der AR der GmbH die Reißleine und entließ den verantwortlichen Manager bevor er eine Vertragsverlängerung unterzeichnen konnte – so etwas kann es wohl nur bei Alemannia Aachen geben.

Dieses Spiel war ein absoluter Tiefpunkt (ich habe ja einige geschildert, aber das war dann doch noch eine neue „Qualität“), denn die bis dahin sieglosen Ahlener beendeten am Tivoli ungefährdet eine Serie von 17 Spielen ohne Sieg (und haben danach auch nicht mehr gewonnen). Dass der Trainer in der Halbzeitpause Nemeth und Auer auswechselte kam einer Kapitulation glich und trieb auch dem letzten Fan die Zornesröte ins Gesicht. Die Fans protestierten nach dem Spiel heftig und es gab (mal wieder) eine Aussprache zwischen Fans und Mannschaft.

Glücklicherweise wurde der freie Fall gestoppt – ich war nach dem Ahlen Spiel nicht mehr optimistisch was den Klassenerhalt angeht. In Fürth traf eine kompakter auftretende Alemannia Mannschaft auf einen „Angstgegner“ der schon nach wenigen Minuten eine noch größere Verunsicherung offenbarte als der TSV. Mit dem 1-0 von Patrick Milchraum kam etwas Sicherheit ins Spiel der schwarz gelben und zerrte weiter an dem Nervenkostüm der Franken. Zwar kamen die Fürther direkt nach der Pause zu einigen wenigen Gelegenheiten den Ausgleich zu erzielen, aber immer wieder zerstörten die Greuther ihre eigenen Angriffsbemühungen durch Fehlpässe oder unerklärliche Stockfehler. Es war nur konsequent, dass die Aachener das 2-0 erzielten und den Sack zumachten – das war ein dringend benötigter „Dreier“ zum richtigen Zeitpunkt.

Das 1-1 zu Hause gegen Paderborn war ein unerklärlicher Rückschlag, eine selbstbewusste Mannschaft tritt ganz anders auf. Dann zeichnete sich ein Silberstreif am Horizont ab: Der Aufsichtsrat verkündete, dass Erik Meijer den Posten des Managers übernimmt und als Geschäftsführer den sportlichen Bereich eigenverantwortlich leiten kann. Ein positives Signal, einer mit dem sich der Alemannia Fan identifizieren kann und der für die sportlich erfolgreichste Phase des Vereins steht – ein echtes Gesicht und Aushängeschild des TSV Alemannia Aachen.

Schon das Auftreten beim Auswärtsspiel in Duisburg hatte Erik’s deutliche Handschrift: Seine Präsenz und Körpersprache ist eine andere, seine Ansprache an die Mannschaft schien schnell zu wirken. in den ersten Minuten war eine absolut kompakte und dominante Alemannia auf dem Rasen zu bestaunen. Nach 20 Minuten hatte Aachen das Spiel im Griff und drückte auf den Führungsstreffer, der auch von den quirligen Gueye erzielt wurde. Zuvor waren schon einige gute Chancen der Alemannia vom starken Duisburger Torwart mit gleichen Namen vereitelt worden. Auch die zu erwartende Drangphase nach der Pause überstand der TSV – mit ein bisschen Glück (Stuckmann hielt einen Elfmeter) aber durchaus verdient. Immer wieder konterte Alemannia schnell und geschickt in Richtung MSV Tor und erzielte nach einem schönen Angriff durch Gueye das 2-0, die „Messe war gelesen“. Das war eine ganz starke Leistung (die beste der Saison), die auf die Rückrunde hoffen lässt!

Mit Erik Meijer, den Fans und dem neuen Stadion besitzt Alemannia ein Potenzial das sicherlich erstligareif ist. Auf der anderen Seite steht, dass der Verein (oder muss ich sagen die GmbH?) nach einer unglaublichen Berg- und Talfahrt das erste Jahrzehnt des neuen Millennium im Mittelfeld der zweiten Liga mit einer Menge Schulden und einer zweifelhaften Liqidität beendet – genau da wo dieses Jahrzehnt auch begonnen wurde. Insofern waren die Warnungen „man soll nie vergessen wo wir herkommen“ überflüssig – oder hat vielleicht auch die häufige Wiederholung dieses Spruchs letztendlich dafür gesorgt dass wir dahin zurückgekehrt sind wo wir herkamen?

Immerhin hat Alemannia Aachen die Tabellenführung der ewigen Tabelle der zweiten Liga übernommen (und müsste eigentlich als erster Kandidat auf einen Aufstieg in die Bundesliga gelten)– aber was heißt das schon? Als die alte Oberliga West ihren Spielbetrieb einstellte war der TSV Alemannia Aachen an dritter Stelle in der ewigen Tabelle dieser Liga zu finden, noch vor dem 1.FC Köln und nur hinter Borussia Dortmund und Schalke 04. Für die erste Liga hat es in den 60ern trotzdem nicht lange gereicht…

(Fortsetzung folgt – irgendwann – sicher!)

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