„Zeichen der Erinnerung und Mahnung für die Zukunft“

Vor den Häusern Thomashofstraße 15 uns 17, in denen Max Salomon und Erich André in den 1930er-Jahren als Nachbarn gewohnt haben, versammelten sich am Mittwochvormittag rund 40 Freunde und Mitglieder der Aachener Alemannia. In stillem Gedenken beobachteten die Menschen den bekannten Kölner Künstler Gunter Demnig bei seiner nach wie vor so wichtigen Arbeit: Demnig ließ zu Ehren der beiden von den Nationalsozialisten verschleppten und ermordeten jüdischen TSV-Mitglieder Salomon und André zwei weitere seiner inzwischen euroweit bekannten Stolpersteine ins Pflaster ein.


Die Interessengemeinschaft der Alemannia-Fans und Fanclubs hatte die Aktion mit  Unterstützung des Vereinsspitze von Alemannia Aachen, des Stadtarchivs und der Volkshochschule initiiert. Im Nachgang zu der viel beachteten Ausstellung über die Alemannia im Nationalsozialismus, die im vergangenen Jahr im Zeitungsmuseum zu sehen war, wolle man mit den Stolpersteinen nun bleibende Zeichen der mahnenden Erinnerung setzen, erklärt Fan-IG-Sprecher Thomas Wenge.

„Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte ist auch an der Alemannia nicht vorbeigezogen. Die Alemannia hat wie so viele andere gesellschaftliche Organisationen in vorauseilendem Gehorsam jüdische Mitglieder aus ihrem Kreis ausgeschlossen und so mit dazu beigetragen, dass sich dieses dunkle Kapitel überhaupt ereignen konnte“, sagte Alemannia-Präsident Dr. Martin Fröhlich in seiner Ansprache. Die Stolpersteine seien nicht nur als Zeichen der Erinnerung zu verstehen, sondern vor allem auch als Mahnung für Gegenwart und Zukunft.

Nach dem Gedenkakt in der Thomashofstraße für Stürmer Max Salomon und Vereinsfunktionär Erich André legte Gunter Demnig an der Jülicher Straße, an der Bismarckstraße und an der Aretzstraße drei weitere Stolpersteine für die ebenfalls unter dem Nazi-Regime zu Tode gekommenen Alemannia-Mitglieder Fritz Moses, Robert Salomon und Hans Silberberg. Sie sollen auch an Dagobert Pintus und Eduard Levy erinnern, deren letzte Wohnorte nicht genau bekannt sind und die deshalb keinen eigenen Stein erhalten können.

Stolperstein für Fritz Moses (Bild: Dr. Holger Dux)

Auf Initiative der Stadt Aachen erhielten am Mittwoch zudem Siegfried Randerath aus der Laurensberger Straße (vor dem Großen Niersteiner Hof) und Arthur May aus dem Muffeter Weg die zehnmal zehn Zentimeter großen Messingtafeln. Auf ihnen sind die Namen, das Geburtsjahr sowie kurze Angaben über die Todesumstände der Opfer zu lesen. Damit hat Gunter Demig in Aachen nun insgesamt rund 70 Stolpersteine verlegt. Europaweit sind es schon mehr als 70.000 Steine.

Derweil planen die Fan-IG und die Alemannia noch weitere Aktivitäten gegen das Vergessen: Der Weg hinter der Tivoli-Südtribüne soll in Kürze Max Salomon gewidmet werden. Auch möchten die Fan-IG und der TSV Exponate der Ausstellung „Alemannia 1933 bis 1945 – Fußball zwischen Sport und Politik“ dauerhaft im Stadion zeigen.

Hier die Ansprache von IG-Sprecher Thomas Wenge im Wortlaut:

Mit der Ausstellung »Alemannia 1933-1945 – Fußball zwischen Sport und Politik« im Zeitungsmuseum haben wir die von den Nazis ermordeten oder ohne Wiederkehr verschleppten TSV-Mitglieder aus der Vergessenheit geholt. Nun möchten wir mit einem dauerhaft sichtbaren Zeichen dazu beitragen, dass sie niemals wieder dahin geraten.

Hätten wir vor fünf Jahren unter Alemanniafans eine Umfrage gemacht, wer in den 20er Jahren für die Alemannia spielte oder gar, wer Max Salomon war – das Ergebnis wäre gewesen, dass diese Vereinsmitglieder wie gesamte Vereinsgeschichte von 1933 bis 1945 völlig unbekannt war.

Wie konnten sie derart ins Vergessen geraten? Wie ging die Erinnerung an Max und Robert Salomon, an Erich André und andere verloren?

Es mag sein, dass nach dem Krieg das Vergessen notwendig war, um die Vergangenheit zu verarbeiten. Es mag sein, dass in der Hoffnung auf und in dem Bemühen um den Wiederaufbau die Vergangenheit kein Thema (mehr) war. Aber auch die 68er brachten die Erinnerung nicht herbei. Zwar wurde endlich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit, der unendlichen Verbrechen der Nationalsozialisten gearbeitet, jedoch blieb die Erforschung einzelner Schicksale die Aufgabe der Historiker. Wie die jüngst wiederholte Serie „Holocaust“ vom Ende der 70er Jahre zeigte, werden die Dimension und die Tiefe dieser Verbrechen erst dann für den einzelnen deutlich, wenn er sich mit Einzelschicksalen auseinander setzt und damit die Möglichkeit der Identifikation bekommt.

Mit der Hilfe von René Rohrkamp ist es uns gelungen, die Wissenslücke zu schließen und Salomon zurück ins Alemanniagedächtnis zu rufen. Max Salomon gab zusammen mit dem unvergessenen Reinhold Münzenberg unserer Ausstellung ein Gesicht. Max Salomon war und ist, solange wir die Erinnerung hoch halten, im Bewusstsein. Damit könnten wir unsere Aufgabe als abgeschlossen betrachten.

Aber das ist sie nicht. Die Gefahr, dass Salomon wieder vergessen wird, besteht unverändert. Da hilft auch eine Präsenz in den Tiefen des Internets nicht. Sobald der Name in den Suchmaschinen immer seltener gesucht wird, rutscht er nach unten – ins Vergessen!

Wir wollen neben das damalige Idol Max Salomon aber auch den Funktionär Erich André stellen. Der Zufall, falls es einer war, macht es möglich, dass hier Spieler und Funktionär nebeneinander liegen. Es wird uns allen damit noch einmal deutlich gemacht: Die Alemannia ist mehr als ihre erste Mannschaft. Es braucht überall Menschen, die im Hintergrund ihre Arbeit tun, damit andere Sport treiben und sehen können. Und auch das ist klar: Dass Erich André Jude war, spielte überhaupt keine Rolle. Juden waren fester Bestandteil der Alemannia, ohne das daran jemand Anstoß nahm. Umso schlimmer ist es übrigens, dass auch niemand daran Anstoß nahm, als ziemlich schnell aus dem Verein gedrängt wurden.

Daher ist es notwendig, Erinnerungsmomente zu erschaffen, die nicht einfach vergessen werden können. Wir müssen Orte schaffen, die bewusst und unbewusst aufgesucht werden, um die Erinnerung zu aktualisieren. Dies schaffen Stolpersteine in ihrer ganz eigenen Art und Weise. Der Mensch stolpert regelrecht über die im Boden liegenden Messingplatten, wird neugierig und fängt an, sich zu erinnern. In der heutigen Zeit würde man hoffen, dass der eine oder andere zum Smartphone greift und die Person recherchiert. Aber schon das Bewusstsein, dass zwei ermordete Juden wie alle anderen Menschen hier in der Thomashofstraße gelebt haben, bis den Machthabern ihre Religion nicht mehr passte, sollte dem einen oder anderen zu Denken geben.

Die IG ist der Alemannia zu Dank verpflichtet. Ihr habt uns unterstützt und, nicht vergessen, die Gedenkaktionen finanziert. Dafür einen herzlichen Dank! Es ist ein gutes Zeichen, dass Fans und Verein, bei allen Unterschiedlichkeiten in Ansichten und Struktur, bei dieser großen gesellschaftlichen Aufgabe zusammenarbeiten.

Wir werden dies auch weiter tun: So sollen Exponate der Ausstellung aus der Vergessenheit in den Tivoli geholt werden. an der Südseite des Tivoli wird symbolisch der Max-Salomon-Weg entstehen.

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