Die Alemannia-Doku, Teil 5
Teil 5: Eiskalter Winter …
· Präsidiumsrücktritt und Notvorstand
· Hoffnungsträger Theo Lieven
· Razzia und Untersuchungshaft
6. November 2001: Erst wenige Stunden zuvor hat das Präsidium um Hans Bay den Weg für eine neue Vereinsführung frei gemacht und im Gegenzug ein wohlwollendes Kopfnicken des allgewaltigen Verwaltungsratsvorsitzenden Dr. Jürgen Linden geerntet. Aber jetzt platzt eine Bombe: Entgegen der erst tags zuvor gehörten Version war Mark Rudan ablösefrei, die geleistete Ablösesumme wurde also ohne Rechtsgrund geleistet. Ein ominöser Dunkelmann mit Alukoffer, sich als Manager des abgebenden Vereins Northern Spirit Sydney ausgebend, habe den Betrag in Höhe von 290.000 DM entgegen genommen. Nun ist es zuviel: Der Verwaltungsrat entzieht der Vereinsführung um Hans Bay den keine 24 Stunden alten „Persilschein“. Das Präsidium lässt die Ämter ruhen und ein Notvorstand, bestehend aus Dr. Jürgen Linden (Verwaltungsratsvorsitzender), Leo Führen (Ehrenpräsident), Hans Kauhsen (Mitglied des Verwaltungsrates) und Jörg Schmadtke (Sportdirektor) übernimmt mit sofortiger Wirkung die Leitung des Vereins und erstattet Strafanzeige gegen Unbekannt. Nur wenige Tage später wird die „Ära“ Hans Bay auch formal beendet: Der Notvorstand wird ins Vereinsregister eingetragen. Fast gleichzeitig mit diesen Vorgängen findet die – noch vom alten Präsidium einberufene – Jahreshauptversammlung statt. Die eigentlich vorgesehene Entlastung der Vorstandsmannschaft um Hans Bay wird bis zur Klärung der Ereignisse um den ausgehändigten Geldkoffer zurückgestellt (und erfolgt auch wenige Monate später im Rahmen der außerordentlichen Jahreshauptversammlung anlässlich der Präsidiumsneuwahl nicht mehr).
10. January oder January 10th
Dafür hören die versammelten Mitglieder des Vereins ein rund 20-minütiges Plädoyer des Verwaltungsrats- und jetzigen Notvorsitzenden Dr. Jürgen Linden. Darin versucht er, deutlich zu machen, dass das von ihm geführte Aufsichtsgremium kein Verschulden an der Situation des Vereins hat. Bereits im Sommer 2001 – also vor ersten Zeitungsmeldungen – habe man von den Gerüchten bezüglich des Rudan-Transfer gehört. Da es sowohl im Vereinswesen als auch sonst im Geschäftsleben vollkommen unüblich sei, eine derart hohe Summe bar zu bezahlen, habe man daraufhin Einsicht in die Unterlagen verlangt und um Vorlage der Transferquittungen gebeten. Doch jene Quittung, die auf Vereinspapier von Northern Spirit geschrieben und mit dem Namen Collins unterschrieben war, wies eine Merkwürdigkeit (das Datum lautete: 10. January, und nicht wie in englischsprachigen Ländern üblich: January 10th) auf. Grund genug, den australischen Verein – über das Verwaltungsratmitglied Michael Westkamp (Aachener und Münchener Versicherungen) und einen in Australien sesshaften AMVertrauensmann – zu kontaktieren. Leider sei erst wenige Stunden nach der Presseerklärung, auf welcher dem alten Präsidium gute Arbeit bescheinigt wurde, die Nachricht vom fünften Kontinent gekommen, dass es keine Ablöseforderungen gegeben habe. Daraufhin wurde das Präsidium aufgefordert, alle Ämter ruhen zu lassen. Dr. Linden legt in seiner Ansprache an das schwarz-gelbe Volk Wert auf die Feststellung, dass es sich bei der Presseerklärung nicht um einen „Persilschein“ gehandelt habe, sondern dass ausdrücklich gesagt worden sei: „(…) Es liegen derzeit keine Anhaltspunkte vor, die (…).“. Darüber hinaus sei die Quittung von zwei Wirtschaftsprüfern – trotz des Datumsfehlers – als „in Ordnung“ befunden worden. Fehlverhalten oder verletzte Aufsichtspflicht des Verwaltungsrats in der – Zitat des Verwaltungsratsvorsitzenden – „Koffergeschichte“ – natürlich nicht, so Dr. Jürgen Linden. Eher sei die Aufklärung der Affäre als Indiz für die erfolgreiche Arbeit des Aufsichtsorgans zu werten, ebenso übrigens wie die Trennung von Eugen Hach (hierbei sei Dank der vom Verwaltungsrat geforderten Vertragsänderung 1 Mio. DM Abfindung gespart worden). Und letztlich wären auch die Einstellungen des Sportdirektors Jörg Schmadtke sowie des Trainers Jörg Berger auf die Arbeit des Aufsichtsorgans zurückzuführen. Die Arbeit des Präsidiums um Hans Bay bewertet Dr. Jürgen Linden insgesamt eher kritisch, im Wesentlichen wiederholt er dabei schon bekannte Vorgänge und Vorfälle aus der jüngeren Vergangenheit des Vereins (Beispiele: wirtschaftliche Situation des Vereins, Außendarstellung der Vereinsverantwortlichen, Indiskretionen über vertrauliche Gespräche, etc.; nachzulesen in den ersten vier Teilen dieser Dokumentation).
Die Aussprache über den Bericht des Verwaltungsratsvorsitzenden verläuft außerordentlich ruhig: Kein anwesendes Mitglied bittet um weitere Einzelheiten oder hinterfragt kritisch die Arbeit des Verwaltungsrats. Selbst der anwesende Ex-Präsident Hans Bay bezieht nicht Stellung; obwohl seine Arbeit und die seiner früheren Kollegen im Präsidium von Dr. Jürgen Linden zuvor eher „differenziert“ beurteilt wurde. Anstatt inhaltlich Stellung zu beziehen, kündigt Hans Bay den staunenden Anwesenden die Übergabe von Bronzefiguren an den Verein an, die das alte Präsidium in Auftrag gegeben habe. Die Vereinsmitglieder nehmen dies sprachlos zur Kenntnis und erteilen dem Notvorstand die Absolution, fortan und bis zur Neuwahl eines neuen Präsidiums die Vereinsgeschäfte zu führen. Der so durch die Mitglieder legitimierte Notvorsitzende Dr. Jürgen Linden erklärt im Anschluss an die Jahreshauptversammlung in einem Interview mit dem IS zum Anforderungsprofil des zu suchenden neuen Präsidenten: „Die Liebe zur Alemannia muss er mitbringen, Erfahrung in Unternehmensführung, in der Fähigkeit zur Leitung verschiedener Abteilungen sowie im geschäftlich-finanziellen und sportlichen Bereich muss er besitzen und außerdem die Fähigkeit, sich demokratischen Strukturen zu unterwerfen. Er soll sehr realistisch sein, keine nicht einhaltbaren Versprechen geben.“ Man darf also gespannt sein, wer diesem hohen Anspruch gerecht wird …
Fußball wird auch gespielt
Fußball wird übrigens auch gespielt in diesen ereignisreichen Wochen im Spätherbst 2001 – und das gar nicht einmal schlecht. Es sind die sportlich erfolgreichsten Wochen der Saison 2001/02: Mitte November wird in einer Nebelpartie die SpVgg. Greuther Fürth – mit dem früheren Aachener Übungsleiters Eugen Hach auf der Bank der Franken – 2:1 geschlagen, danach wird der Karlsruher SC mit 2:0 besiegt und im letzten Heimspiel des Jahres wird dem Bundesliga-Absteiger aus Unterhaching ein 3:1 eingeschenkt. Zwar gibt es zwischendurch zwei – gewohnt empfindliche – Auswärtsniederlagen in Berlin (1:5) und in Bochum (3:5); zum Jahresende aber gelingt ein sensationeller Erfolg auf gegnerischem Geläuf: Am Bruchweg in Mainz werden fünf Tage vor Heilig Abend beim 1:0 drei Auswärtspunkte eingefahren. Der Gabentisch ist – in sportlicher Hinsicht – trotz äußerst mäßigem Saisonstart also doch noch recht zufriedenstellend gefüllt. So verabschiedet sich die Alemannia in die Winterpause, die Anhänger hoffen auf gute Vorsätze im neuen Jahr und winterlicher Raureif legt sich auf das marode Rechteck an der Krefelder Straße. Und in der Tat scheint das neue Jahr erfreulich zu beginnen: Zum Trainingsauftakt werden mit Manuel Benthin und Markus Daun zwei U21-Nationalspieler am Tivoli vorgestellt. Und gerade auch die auf Leihbasis erfolgte Verpflichtung Dauns vom Bundesliga-Spitzenclub Bayer 04 Leverkusen macht Hoffnung auf mehr: Reiner Calmund, der ebenso schwergewichtige wie einflussreiche Macher des Werksclubs, deutet die Bereitschaft zu einer engen Zusammenarbeit mit der Alemannia an. Würde diese realisiert, könnte der Tivoli zur ersten Profibühne einiger ambitionierter junger Spieler des Leverkusener Championsleague-Teilnehmers werden. Und nahezu unbemerkt, stößt auch der vor über 15 Monaten schwer verletzte Defensivspieler Daniel Rosin wieder zur Profimannschaft. So kann Trainer Jörg Berger mit einem in der Winterpause größer gewordenen Kader die Reise ins südspanische Trainingslager antreten. Und die im winterlichen Aachen ausharrenden Fans hören frohe Kunde aus dem warmen Andalusien: In einem Testspiel wird der mit allen nationalen und internationalen Stars und Sternchen antretende kommende Deutsche Meister mit 1:0 besiegt. Mit großen Hoffnungen für die Rückrunde ausgestattet, reist die Mannschaft zur weiteren Vorbereitung zurück nach Deutschland.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt
Dort aber wird der Verein von der Vergangenheit eingeholt: Im Morgengrauen des 19. Januar 2002 wird die Geschäftsstelle des Vereins am Tivoli von der Polizei und der Staatsanwaltschaft untersucht. Hintergrund ist die immer noch nicht aufgeklärte Kofferaffäre. Aber nicht nur an der Krefelder Straße treten Beamte in Aktion. Auch in den Privat- und den Geschäftsräumen des ehemaligen Schatzmeisters Bernd Krings, beim Spielervermittler Hans Hägele in Esslingen am Neckar und außerdem bei Mark Rudan selbst, dessen Transfer der Stein des Anstoßes war, werden die Ermittler aktiv und vollziehen die in den Vortagen durch den Amtsrichter ausgestellten Haftbefehle. Zwei weitere Haftbefehle (gegen den Spielervermittler Frano Zelic sowie gegen den unbekannten Kofferempfänger des Januars 2001) können nicht vollstreckt werden, weil die beteiligten Personen nicht greifbar sind. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, kurz auf einen Nenner gebracht, lautet: Die Verdächtigen sollen die Alemannia unter Vorlage falscher Bescheinigungen um einen als Ablösesumme getarnten Barbetrag geprellt haben. Erst Wochen später und nachdem Verdunkelungsgefahr nicht mehr besteht, werden die Beschuldigten aus der Untersuchungshaft entlassen. Unterdessen wird vom Notvorstand eine neue Vorstandsmannschaft vorgestellt: Unter Leitung des neuen Präsidenten Theo Lieven, einem erfolgreichen Unternehmer, soll ein Präsidium, dem neben ihm Wolfgang Hammer und Horst Heinrichs (als Vizepräsidenten) sowie Carlo Soiron (als Schatzmeister) angehören, den in den letzten Jahren so dilettantisch geführten Traditionsclub wieder in ruhige Gewässer führen. Dass die neue Vorstandsriege die Nackenschläge der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht zum Anlass nimmt, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern laut die Parole „Jetzt erst recht!“ verbreitet, macht Mut. Jetzt, so die Hoffnung der Fans, sind endlich Profis am Werk, die den Unrat der Vergangenheit beseitigen und für saubere Verhältnisse im Verein sorgen werden.
Fortsetzung am 1.01.10, 10:00 Uhr