Die Alemannia-Doku, Teil 4

Teil 4: Zeitenwende im Herbst 2001
· Punkteultimatum und Trainerwechsel
· Jörg Berger, Jörg Schmadtke und Karlheinz Pflipsen
· Der erste Koffer

Winfried Schäfer wird im Winter 2001/02 Trainer der Nationalmannschaft Kameruns. Kurz danach führt er die „unbezwingbaren Löwen“ zur Afrika-Meisterschaft. Und am 11. Juni 2002 trifft er als Trainer des afrikanischen Teams im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft im japanischen Shizuoka auf die Deutsche Nationalmannschaft. Das alles aber ist im Sommer 2001 noch ferne Zukunft – da nämlich ist Winfried Schäfer arbeitsloser Übungsleiter und schätzt für die Zeitschrift „Sport-Bild“ die Perspektiven der Zweitligisten für die in Kürze beginnende Saison ein. Und die Prognose des rotschöpfigen Trainers aus Mayen in der Eifel verheißt nichts Gutes für die Aachener Alemannia: Die Mannschaft gehört für ihn zu den allerersten Abstiegskandidaten.

In der Tat ist die Lage am Tivoli in diesen Wochen nicht besonders rosig. Innerhalb des vergangenen halben Jahres hat sich die Atmosphäre zwischen Präsidium und Trainer einerseits und dem viel beschworenen Umfeld, dem berühmten zwölften Mann, andererseits drastisch verschlechtert (zu den vielfältigen Ursachen wird auf den vor einigen Tagen veröffentlichten dritten Teil dieser Serie verwiesen). Es gibt aber nicht nur ein atmosphärisches Problem – ganz handfeste wirtschaftliche und sportliche Themen treiben vielen Fans den berühmten Angstschweiß auf die Stirn. Auf Initiative des Verwaltungsrates wurde zwar der wohl dotierte Vertrag mit dem Übungsleiter in einen leistungsabhängigen Kontrakt geändert. Aber andere Sünden der Vergangenheit holen den Traditionsclub nun ein: Der große Kader hat Kosten verursacht, die nun die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Vereins in Frage stellen. Letztlich trägt nur der Rekorderlös aus dem Verkauf des Shootingstars der ersten beiden Zweitligajahre, Ugur Inceman, an den Bundesligaaufsteiger FC St. Pauli dazu bei, dass die Alemannia die Lizenz für ein weiteres Jahr Profifußball erhält.

Überhaupt die Personalpolitik: Vor Jahresfrist, im Sommer 2000, wurden elf Spieler an den Tivoli geholt – mehr Masse als Klasse, wie sich in der abgelaufenen Saison heraus gestellt hat, denn einige dieser Akteure gehören dem Kader für die nun beginnende dritte Saison in der Zweiten Bundesliga nicht mehr an. Die Anzahl der aktuellen Neuverpflichtungen dagegen hält sich in engen Grenzen; mit Stephan Straub, Goran Lozanovski, Ivica Grlic, Xinorui Zhang, Mark Zimmermann und Josef Ivanovic werden weniger (und dem Vernehmen nach auch preiswertere) Spieler als im Vorjahr in den Kader integriert. Andererseits aber verlassen neben Ugur Inceman mit André Lenz, Lars Müller und Dietmar Berchthold weitere bewährte Kräfte den Tivoli. Es scheint tatsächlich so, als ob in der kommenden Saison nur fußballerische Magerkost am Tivoli geboten werden wird. „Neue Bescheidenheit“, so das Schlagwort auch des Trainers Eugen Hach – dieser scheint aber eher nach dem Motto „Wasser predigen und Wein trinken“ zu handeln, darf er sich doch in einer durch den Verein geleasten Nobelkarosse aus Untertürkheim mit „Komplettausstattung“ fortbewegen. Immerhin meint der Spielplan der DFL es gut mit der Alemannia; so glaubt man zumindest. Zum Saisonauftakt tritt der FSV Mainz 05 auf dem Tivoli an, eine Woche später geht es ins Hannoveraner Niedersachsenstadion. Beide Gegner haben in der Abschlusstabelle der vergangenen Saison nur Plätze im unteren Mittelfeld der Zweiten Bundesliga belegen können. Vielleicht, so die Hoffnung, gelingt ein positiver Saisonauftakt, der dazu führt, dass Verein und Fans wieder an einem Strang ziehen können. Aber weit gefehlt: Nach an sich gutem Spiel verliert die Mannschaft zu Hause gegen Mainz 05 mit 0:2, eine Woche später steht nach desolatem Auftreten in Hannover das Endergebnis (0:3) bereits zur Halbzeit fest. Zwei Spiele, zwei Niederlagen, kein erzielter Treffer – Alemannia ist im Besitz der berühmtberüchtigten roten Laterne. Zwar gelingt am dritten Spieltag ein mühsamer 2:1-Sieg gegen die ebenfalls schlecht in die Saison gestarteten Rot-Weißen aus Oberhausen. Nur eine Woche später aber gibt es im vierten Spiel die bereits dritte Niederlage beim 0:1 in Ahlen. Zu diesem Zeitpunkt ist das Präsidium bereits nicht mehr komplett: Wie erst nach dem Ahlener Misserfolg bekannt wird, legte wenige Tage zuvor Vizepräsident Dirk Courté „aus persönlichen und beruflichen Gründen“ sein Mandat im Präsidium nieder.

Mannschaftsbus wird belagert

Sportlich im Tabellenkeller, administrativ durch den Rücktritt des Vizepräsidenten geschwächt, in seinen Möglichkeiten ohnehin durch die schärfer gewordene Kontrolle des Verwaltungsrats beschränkt und – wegen der anstehenden ersten Runde im DFB-Pokal – eine zweiwöchige Pause im Liga-Spielbetrieb vor sich – eine Konstellation eigentlich, in der die eigene Arbeit und die des Trainers ernsthaft in Frage gestellt werden könnte. Aber die Gelegenheit wird nicht genutzt: Nibelungentreu stehen Präsidium und sportliche Leitung weiter zueinander. Wertvolle Zeit verstreicht, ein Signal des Aufbruchs kann aber von den handelnden Akteuren im Verein nicht mehr ausgehen. So geht es personell unverändert in das Heimspiel gegen Babelsberg (2:2) und anschließend zum Auswärtsspiel nach Reutlingen, mit erst einem Zähler auf Platz 17 stehend. Und erneut setzt es eine Niederlage: Schon zur Halbzeit liegt die Mannschaft 0:3 zurück; erst, als die Schwaben nach der Pause mehr als nur einen Gang zurück schalten, gelingt eine Ergebniskorrektur zum 1:3. Das aber sehen viele der rund 130 mitgereisten Fans aber schon nicht mehr, sie haben in der Halbzeit den Gästeblock geräumt. Nach der Partie droht die Situation zu eskalieren, als einige Fans die Abreise des Mannschaftsbusses blockieren. Jetzt wird überdeutlich: Veränderungen sind absolut notwendig! Aber erneut wird auf Zeit gespielt.

Wie schon einige Wochen zuvor, werden notwendige Entscheidungen vertagt. Stattdessen gibt es wieder einmal Presseerklärungen vom Tivoli – und zwar gleich zwei (!) Stück:

Erste Presseerklärung
Zunächst erklären am 17. September 2001, zwei Tage nach der Niederlage an der Reutlinger Kreuzeiche, Vorstand, Cheftrainer und erweiterter Mannschaftsrat im Anschluss an eine gemeinsame Sitzung selbstkritisch, mit den bisher gezeigten Leistungen nicht einverstanden zu sein. Die Verantwortung hierfür übernimmt Trainer Eugen Hach, der – gemeinsam mit der Mannschaft – verspricht, in den kommenden Wochen für ein der wahren Leistungsfähigkeit des Teams entsprechendes Auftreten zu sorgen. Die Mannschaft wolle mit sportlichen Erfolgen die Fans wieder versöhnen und der Alemannia wieder den ihr gebührenden Stellenwert verschaffen. Und dann folgt das durch den Trainer selbst formulierte Ziel, das später als Sieben-Punkte-Ultimatum bezeichnet werden wird: „Dem Cheftrainer Eugen Hach ist durchaus bewusst, dass sein berufliches Schicksal bei Alemannia Aachen mit dem sportlichen Erfolg der Profimannschaft unmittelbar verbunden ist. Wenn es nicht gelingt, in den nächsten drei Spielen einen Abstand von wenigstens zwei Punkten zu den Abstiegsplätzen zu erreichen, wird er die den Interessen des Vereins gerecht werdende berufliche Konsequenz ziehen. Der Vorstand ist sich darüber einig, dem Cheftrainer und der Mannschaft die Chance auf sportliche Wiedergutmachung gewähren zu können. Noch ist es nicht zu spät. Als Voraussetzung für die Existenzsicherung des Vereins und als Beweis für ihren unbedingten Erfolgswillen hat der Vorstand dem Cheftrainer und der Mannschaft eine Vorgabe auf Gewinn von zunächst sieben Punkten aus den nächstfolgenden drei Meisterschaftsspielen gemacht. Bei Nichterreichen wird unverzüglich eine bestmögliche Problemlösung ohne Ansehen von Person und Stand der Verantwortlichen erfolgen.“ (Originalzitat aus der Presseerklärung vom 17. September 2001).

Zweite Presseerklärung
Die weitere Zusammenarbeit mit dem Trainer ist ganz offensichtlich jedoch nicht mit dem Verwaltungsrat abgestimmt. Das Gremium unter Vorsitz von Oberbürgermeister Dr. Jürgen Linden hat den Vorstand bereits vor einigen Monaten inoffiziell und hinter den Kulissen „entmachtet“ (siehe hierzu den dritten Teil dieser Serie). Nun werden auch nach außen hin Muskeln gezeigt: Nur wenige Tage nach der Presseerklärung des Präsidiums meldet sich nun der Verwaltungsrat zu Wort und zeigt, wer die „Hosen an“ hat am Tivoli: In der Vergangenheit habe der Verwaltungsrat dem Präsidium mehrfach Empfehlungen, Ratschläge und auch Auflagen erteilt, so die Erklärung. Eine Verbesserung der Situation sei jedoch nicht eingetreten. Unter Inkaufnahme des Eindrucks, untätig geblieben zu sein, habe man sich bisher an die vereinbarte Vertraulichkeit gehalten, so der Verwaltungsrat. Damit aber ist es nun offensichtlich vorbei: Der Verwaltungsrat erklärt, dass die durch das Präsidium getroffene Entscheidung in der Trainerfrage gemeinsamen Verabredungen widerspricht und verweist auf die auf Druck des Verwaltungsrates geänderte vertragliche Situation zwischen Verein und Eugen Hach, die eine „Möglichkeit des Handelns ohne größeres finanzielles Risiko“ ab dem achten Spieltag ermögliche. Das durch das „Ultimatum“ verlängerte Engagement des Übungsleiters sei jedenfalls nur vertretbar, wenn bei anschließender Trennung der Cheftrainer den Verein ohne Abfindung verlasse. Klare Fronten also zwischen Verwaltungsrat und Präsidium – aber nicht nur in der Trainerfrage: Deutlich verweist der Verwaltungsrat auf die ganz offensichtlich prekäre finanzielle Situation des Vereins und fordert vom Präsidium „Budgetdisziplin“. Den vom Präsidium vorgelegten Haushaltsplanentwurf für die laufende Spielzeit habe der Verwaltungsrat jedenfalls nicht verabschiedet; stattdessen sei er notfalls gewappnet, das operative Geschäft des Vereins vorüber gehend verantwortlich zu übernehmen. Übrigens wurde auch weiter Fußball gespielt in diesen Tagen: Acht Tage nach der Niederlage in Reutlingen, sechs nach der Erklärung von Präsidium und Mannschaft bzw. drei nach der Veröffentlichung des Verwaltungsrates stellt sich mit dem SV Waldhof Mannheim ein alter Konkurrent auf dem Tivoli vor: Mit großen Ambitionen in die laufende Spielzeit gestartet, steht das Team aus dem Norden Baden-Württembergs nach einem nur mäßigen Saisonstart ebenfalls unter Druck. So treffen an jenem 23. September 2001 zwei verunsicherte Mannschaften aufeinander – zwei Mannschaften, die über völlig unterschiedliche „Krisenlösungsstrategien“ verfügen. Während bei den Alemannia-Spielern zunächst guter Wille erkennbar ist, verdingen sich die Waldhofbuben als „Holzfäller“. Obwohl der glänzend agierende FIFA-Referee Hellmut Krug die Mannheimer Spielweise mit gleich drei Platzverweisen „honoriert“, gelingt der – zunehmend verkrampfter agierenden – Aachener Mannschaft nur ein mühsames 1:0. Noch ist die Erfüllung der siebenpünktigen Vorgabe also möglich.

Eine Woche später aber ist es mit der „Herrlichkeit“ vorbei: Beim heimstarken Aufsteiger Schweinfurt verliert Alemannia mit 0:1 und folgerichtig Eugen Hach dadurch seien Job. In einem DSF-Interview nach Spielschluss versucht er zwar, die Existenz der sich selbst gestellten Forderung in Abrede zu stellen. Aber in der fernen Bretagne verkündet Hans Bay Lokaljournalisten die Beurlaubung des Trainers und beweist einmal mehr seine zweifelhaften menschlichen Qualitäten: Eugen Hach nämlich erfährt erst einen Tag später durch die Presse von seiner Freistellung. Der Schlussstrich unter die gut zweijährige Zusammenarbeit mit Eugen Hach wurde – wenn auch zu spät – gezogen. Aber wie geht es weiter? Eine Findungskommission wird eingesetzt, um die Trainerfrage zu klären. Als Übungsleiter im Gespräch sind u.a. Wolfgang Frank, Ingo Peter, René Vandereycken und Lorenz-Günther Köstner. Letztendlich aber entscheidet sich der Verein für einen altbekannten Feuerwehrmann der Szene: Am 8. Oktober wird Jörg Berger am Tivoli vorgestellt. Nach dem impulsiven Trainernovizen Eugen Hach wird Jörg Berger wegen seiner ruhigen und besonnenen Art, vor allem aber auch wegen seiner Erfahrung fast wie ein Messias begrüßt. Zwar gibt es im ersten Spiel seiner Amtszeit lediglich ein 0:0 gegen den Tabellenvorletzten 1. FC Saarbrücken, aber in den kommenden Wochen zeigt die Mannschaft lange vermisste Qualitäten (auch im spielerischen Bereich), holt ihren ersten Auswärtspunkt (2:2 im Frankfurter Waldstadion) und begeistert eine Woche später das Aachener Publikum beim 3:2-Heimsieg gegen Arminia Bielefeld. Auch im administrativen Bereich scheint Ruhe einzukehren: Nach dem ersten Jörg (Berger) wird ein zweiter Jörg (Schmadtke) engagiert. Der – auch von den Fans – lange geforderte Sportdirektor ist da. Und die Freude wird noch größer, als mit Karlheinz Pflipsen sogar ein ehemaliger Nationalspieler an den Tivoli geholt wird, der die spielerische Tristesse der Alemannia beenden soll. Und passend zu dieser Aufbruchstimmung gibt es am 5. November 2001 – wieder einmal – eine Pressekonferenz am Tivoli.

Während sich die Vereinsgremien noch vor Wochen in getrennten Erklärungen beharkten, herrscht nun Friede, Freude und Eierkuchen. Ein aus freien Stücken erfolgter Rücktritt des Präsidiums soll, so der gemeinsame Tenor des Präsidiums und des Verwaltungsrates, auch im administrativen Bereich endlich Platz für neue Köpfe und Ideen schaffen. Deshalb erklären Hans Bay, Bernd Krings und Manfred Grandt, anlässlich der kommenden Jahreshauptversammlung nicht erneut zu kandidieren. Die Findung einer neuen Vorstandsmannschaft legt die bisherige Vereinsführung in die Hände des Verwaltungsrates. Und dieser stellt dem ausscheidenden Präsidium angesichts der freiwilligen Räumung des Feldes einen „Persilschein“ aus. Anders als vor drei Jahren würden der neuen Leitung nach einer Zeit der seriösen Führung „sowohl im sportlichen als auch im finanziellen Bereich geklärte Verhältnisse“ hinterlassen, darf Hans Bay – unwidersprochen durch den Verwaltungsrat – resümieren. So empfiehlt dann auch das Aufsichtsgremium, den Mannen um Bay auf der Jahreshauptversammlung noch einmal das Vertrauen auszusprechen, damit in Ruhe ein neuer Vorstand mit neuen Visionen gefunden werden kann. Es sei dies ein weiterer Schritt in der Entwicklung des Vereins nach dem Aufstieg einer lizenzierten Amateurmannschaft hin zu Profikickern, den Veränderungen auf der Geschäftsstelle, dem Posten des Sportdirektors, der Fußballschule und des gesamten Unterbaus der Alemannia, deren Budget sich seitdem verfünffacht hat. Dass schon seit einigen Tage durch die lokalen Medien mögliche Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der im vergangenen Winter vorgenommenen Verpflichtung des australischen Abwehrspielers Mark Rudan angesprochen werden, ist am 5. November 2001 ein Thema von nur untergeordneter Bedeutung. Im Rahmen der Pressekonferenz erklärt jedenfalls der scheidende Schatzmeister Bernd Krings die im Januar 2001 vorgenommene Barzahlung der Ablösesumme mit dem Druck der seinerzeit nahenden Schließung der Transferliste. Die Geschäftsführung, so Bernd Krings, könne man im Februar 2002 reinen Gewissens an die Nachfolger im Präsidium übergeben. Mit dieser Erklärung gibt man sich zufrieden.

Fortsetzung am 30.12., 10:00 Uhr

Kommentare: 2 Kommentare

2 Kommentare zu “Die Alemannia-Doku, Teil 4”

  1. iinvestor sagt:

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  2. Nnover sagt:

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