Die Alemannia-Doku, Teil 6
Teil 6: Zwischen Hoffen und Bangen …
· Das Ende aller Hoffnungen?
· Dörch deck en dönn!
· Der zweite Koffer (lebenswichtiger Sieg in Karlsruhe und seine Folgen)
Während Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft sich mit der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftigen und Bernd Krings, Mark Rudan und andere Hauptdarsteller der Kofferaffäre einige Wochen hinter „schwedischen Gardinen“ sitzen, krempelt das frisch gewählte Präsidium die Ärmel hoch: „Jetzt erst recht“, lautet die Devise der Vorstandsmannschaft um den neuen Präsidenten Theo Lieven. Bevor die Zukunft aber konkret geplant wird, soll erst einmal eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft einen Finanzstatus erstellen – das Führungsquartett bittet um einen Kassensturz, um einen Überblick über die wirtschaftliche Situation des Clubs zu erhalten. Erst nach dieser Prüfung sollen Entscheidungen über die nähere Zukunft des Vereins fallen. Und bis die Wirtschaftsprüfer ihre Zahlen vorlegen, steht nach Wochen und Monaten mit in erster Linie außersportlichen Themen endlich wieder einmal der Fußball im Vordergrund. Im sportlichen Sektor aber ist Stagnation angesagt. Nach den äußerst erfreulichen Wochen am Jahresende 2001 mit zwölf Punkten aus sechs Spielen und zudem auch sehenswerten Darbietungen misslingt der Start ins neue Jahr vollkommen: Bei der 2:4-Heimniederlage gegen die Übermannschaft der Liga, Hannover 96, sind noch Ansätze erkennbar. In den folgenden Wochen aber fällt die Mannschaft fußballerisch und kämpferisch fast völlig auseinander; anstatt in den Spielen bei Rot-Weiß Oberhausen, gegen den LR Ahlen, gegen den SSV Reutlingen und bei Waldhof Mannheim – allesamt Teams aus der unteren Tabellenhälfte – Punkte zu sammeln, die den vorzeitigen Klassenerhalt bedeuten würden, enttäuscht das Team Jörg Bergers auf ganzer Linie. Auch der Übungsleiter selbst, seine Trainingsmethoden und seine (fehlende) Nähe zum Team geraten zunehmend in die Kritik. Lediglich beim abgeschlagenen Tabellenletzten SV Babelsberg und gegen die chronisch auswärtsschwachen Franken aus Schweinfurt gelingen mühsame Siege. Auch diese zwischenzeitlichen Erfolgserlebnisse können aber nicht darüber hinweg täuschen, dass sportlich nicht mehr viel zusammengeht bei den Kickern von der Krefelder Straße. Am 10. März 2002 leistet sich die Mannschaft dann den sportlichen Offenbarungseid: Bei den wackeren Verbandsligaakteuren des 1. FC Saarbrücken (der so gut wie abgestiegene Traditionsclub von der Saar nutzt zu diesem Zeitpunkt die letzten Zweitligaspiele bereits als Vorbereitung für die kommende Regionalligasaison) setzt es eine blamable 1:2-Niederlage. Den Fans wird ob dieser sportlichen Darbietungen zunehmend Angst und Bange, das Abstiegsgespenst schwebt über dem Tivoli.
War’s das, Alemannia?
Die Angst um die sportliche Existenz weicht aber schon bald purer Verzweiflung über die wirtschaftliche Situation des Clubs. Die vom neuen Präsidium eingesetzten Wirtschaftsprüfer bringen bittere Klarheit über die finanzielle Lage des Vereins: Am Ende der laufenden Saison 2001/02, so die Prognose, werde der Schuldenstand der Alemannia rund 2,8 Mio. € betragen. Grund für diesen Zustand ist insbesondere das Auseinanderklaffen zwischen Anspruch (kalkulierte Überschüsse) und Wirklichkeit (tatsächliche Fehlbeträge) in den vergangenen Jahren. Der Verein, so erklären Präsidium und Wirtschaftsprüfer unisono, stehe vor einem erheblichen Liquiditätsproblem: Noch sei die Auszahlung der März-Gehälter an die Spieler gesichert, für die kommenden Monate könne aber keine verbindliche Zusage auf Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen gemacht werden. Und als Ergebnis des ermittelten Finanzchaos des Vereins hält Theo Lieven fest, dass man den Lizenzantrag für die kommende Saison gar nicht erst stellen brauche, wenn es nicht gelänge, in den kommenden Wochen rund 1 Mio. € zusammenzubringen. Nach einem kurzen Schock über das Gehörte und Gelesene setzt nun eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft ein. Innerhalb von wenigen Tagen spenden die Fans mehrere 100.000 €; darunter sind auch bewegende Einzelspenden von Kindern und Jugendlichen, die ihr für Klassenfahrten gesammeltes Taschengeld zur Geschäftsstelle tragen – sogar ein dreijähriges Kind befindet sich unter den Spendern. Die in diesen Tagen gezeigte Sympathie – auch von Fans anderer Vereine – zeigt, dass der Verein am westlichen Ende der Republik nicht sterben darf. Auch die Spieler beteiligen sich an der „dörch-deck-en-dönn“-Aktion: Aus den Reihen der Mannschaft kommen 50.000 €. Nur die Verursacher des Desasters halten sich bedeckt; lediglich Expräsident Hans Bay lässt sich in seinem Feriendomizil in der Bretagne zu einem Interview herab: Er habe seinen Beitrag für die Alemannia in jahrzehntelangem Engagement geleistet, deshalb sei er zu einer Spende auf keinen Fall bereit. Dennoch hat die Rettungsaktion Erfolg, das Präsidium kann am Gründonnerstag anlässlich des Heimspiels gegen den MSV Duisburg das (vorläufige) Überleben des Vereins vermelden.
Und als ob die Misere des Vereins den Spielern Beine gemacht hätte, sind diese plötzlich wieder zu vorher nicht geahnten Leistungen in der Lage – zumindest auf dem heimischen Tivoli: Eintracht Frankfurt und der MSV Duisburg werden jeweils mit 2:1 bezwungen. Auswärts aber fällt die Mannschaft von einem Tief ins nächste, der schon beschriebenen 1:2-Niederlage beim 1. FC Saarbrücken folgen in Bielefeld (1:4) und in Fürth (0:3) weitere „Klatschen“. Diese Auswärtsschwäche einerseits, das Wiedererstarken der Konkurrenz um den Klassenerhalt (insbesondere Rot-Weiß Oberhausen, Karlsruher SC, SpVgg. Unterhaching) andererseits, lassen den Abstand auf den 15. Tabellenplatz (= erster Abstiegsplatz) bedrohlich schmelzen. Die Heimserie darf nicht reißen, sonst wird es unangenehm eng für die Alemannia. Aber es passiert: Am 31. Spieltag entführen die Eisernen aus Köpenick drei bitter benötigte Punkte vom Tivoli. Und angesichts des Restprogramms – Alemannia muss auswärts bei den unmittelbaren Konkurrenten Karlsruhe und Unterhaching antreten – scheinen selbst die noch verbleibenden fünf Punkte Vorsprung nur ein dünnes Polster. Von vorentscheidender Bedeutung ist deshalb die Partie am 20. April 2002 im Karlsruher Wildparkstadion. Obwohl die Auswärtsschwäche nur wenig Hoffnung auf einen sportliche Erfolg gibt, reisen rund 300 unentwegte Aachener Fans mit ins Badische. Sie werden nicht enttäuscht: Mit einer in dieser Saison selten zuvor gesehenen taktischen Disziplin, einem tadellosen Defensivverhalten und feinem Konterfußball wird der Karlsruher SC mit 2:1 bezwungen. Der Klassenerhalt ist geschafft; daran ändern auch abschließende Niederlagen in Unterhaching (0:2) und gegen Bochum (1:3) nichts mehr. Mitentscheidend für die hervorragende Leistung im Wildparkstadion mag wohl auch eine ausgelobte Sonderprämie in Höhe von 50.000 € gewesen sein. Diese nämlich stellt ein potenzieller Sponsor in Aussicht; als er mit der Zahlung aber in Verzug gerät, pochen die Spieler dennoch auf die Auszahlung des Betrages (der in der Höhe dem einige Wochen zuvor gespendeten Betrag der Mannschaft an den Verein entspricht).
Der Präsident geht von Bord
Um den Akteuren gegenüber die gegebene Zusage einzuhalten, packt Präsident Theo Lieven den Betrag in einen Koffer, gibt diesen an der Krefelder Straße ab und erklärt aus Enttäuschung seinen sofortigen Rücktritt. Erneut schreibt also ein Koffer Geschichte am Tivoli. Inwieweit der – bei seiner Demission erst 101 Tage amtierende – Präsident diesen Vorgang auch als Vorwand nutzt, um aus einem Amt zu scheiden, das ihm mehr Leid als Ehre einbrachte, mag dahin gestellt bleiben. Die Antwort auf diese Frage nimmt Theo Lieven jedenfalls ins Privatleben mit. Zu der ausgelobten Prämie: Nach Darstellung des zurückgetretenen Präsidenten ist die letztlich nicht eingehaltene Sponsorenzusage von Spielerberatern gegeben worden, die dem Verein zuvor ungeklärte Leistungen in Rechnung gestellt haben. Als Kompensation für die schon gezahlten Forderungen wurde die Prämie an die Spieler ausgelobt – und dann nicht gezahlt. Und wieder einmal fällt – Zufall? – im Zusammenhang mit einer Alemannia- Ungereimtheit der Name Bernd Krings: Die nichtzahlenden Spielerberater teilen sich nämlich einen Büroflur mit dem Steuerfachgehilfen und früheren Alemannia-Schatzmeister. Das Restpräsidium (Wolfgang Hammer, Horst Heinrichs und Carlo Soiron) müht sich in der Folgezeit redlich, die verschiedenen Bedingungen der DFL zur Lizenzerteilung zu erfüllen. Wie es scheint, bleiben die Bemühungen nicht erfolglos. Dazu aber in der letzten Folge mehr.
Fortsetzung am 3.01.10, 10:00 Uhr