Die Alemannia-Doku, Teil 9

Teil 9: Alemannia 2000 – zwischen Wahnsinn und Genie von Axel Schaffrath

· 01/02 Die Gumbels geben auf…
· 01/02 Rücktritt, Notvorstand, Kofferaffäre und Auswärtsklatschen
· 01/02 Neues Jahr neues Glück?

Die Gumbels geben auf…

Der Start in die dritte Zweitligasaison ging mit Niederlagen gegen Mainz und Hannover gründlich daneben. Besonders der Auftritt in Hannover ließ schlimmes ahnen, Xie Hui sah innerhalb von wenigen Sekunden gelb rot und auch sonst waren die Öcher hoffnungslos unterlegen. Die Stimmung kippte, die Gumbels reagierten immer gereizter auf Kritik, und auch aus dem VR drangen jetzt mehr und mehr Insiderinformationen nach draußen. Es stand nicht gut um Alemannia, das war jetzt auch den hohen Herren im VR klar. Es gab eine turbulente „Time 2 Talk“ Veranstaltung mit allen Protagonisten, hitzigen Rededuellen und einem sichtlich angezählten Trainer Eugen Hach. Nur denkbar knapp gewann man drei Tage danach gegen Waldhof Mannheim mit 1-0 am Tivoli gegen am Ende nur 9 Ballwerfer. Die Fans machten Ihren Ummut Luft! Als das Auswärtsspiel in Schweinfurt mit 0-1 verloren ging musste Eugen gehen – auch wenn er das zunächst direkt nach dem Spiel nicht wahrhaben wollte. Was nun folgte ist mit den Worten aufregend und ereignisreich nicht mehr wirklich zu beschreiben.

Hier ein Versuch zumindest einigermaßen chronologisch die Geschehnisse zu sortieren: Vier Tage vor dem nächsten Spiel gegen Saarbrücken präsentiert Alemannia den neuen Trainer Jörg Berger. Diese Personalie überrascht ganz Deutschland, ein angesehener, populärer und erfolgreicher Erstligatrainer heuert bei einem maroden Zweitligatraditionsclub an? Im Umfeld der Fans macht sich Hoffnung und neue Euphorie breit – im Hintergrund wird mit Macht die Ablösung der Gumbels betrieben. Schon bei der Vorstellung des neuen Trainers war klar dass die Zeit des alten Präsidiums langsam ablaufen sollte. Drei Tage nach Jörg Berger kommt auch Jörg Schmadtke als neuer Sportdirektor an Bord, er hatte sich auf eine Stellenanzeige im Kicker beworben (was bundesweit für einen echten Lacher sorgte)Es rumorte und brodelte im Hintergrund, zu offensichtlich war die Misswirtschaft unter dem Gumbles Trio Hach, Bay und Krings. Der neue Geschäftsführer des Vereins Bernd Maaß versorgte den Verwaltungsrat mit Besorgnis erregenden Zahlen. Dieser wiederum hatte seine Verbindungen zu normalen „Fans“ und die Infos machten im vereinseigenen Forum oder auf der Internetseite des „IS“ (Alemannia Onlinefans) die Runde. Presse und Öffentlichkeit lasen fleißig mit, verarbeiteten die Infos in der lokalen Zeitung und so wuchs der Druck auf das Präsidium so weit, dass sie am 1.11.2001 (Allerheiligen!) ihren Rückzug zum 31.01.2002 bekannt gaben.

Rücktritt, Notvorstand, Kofferaffäre und Auswärtsklatschen

Nur wenige Tage später deckten Steuer- und Wirtschaftsprüfer eine gefälschte Quittung über eine Ablösesumme für den australischen Abwehrspieler Mark Rudan auf, ein gewisser „Bill Collins“ sollte 290.000 DM in bar erhalten haben. Leider war das Datum auf der Quittung nicht im australischen sondern im deutschen Format, was die Staatsanwaltschaft auf den Plan rief – es wurde ermittelt. Bill Collins jedenfalls, das war schnell klar hatte von dem Geld keinen Pfennig gesehen.

In einer hektischen Hauptversammlung ein paar Tage später blieb die große Palastrevolution aus, die „rebellischen“ Mitglieder, die angedeutet hatten dass auch der Verwaltungsrat eine Mitschuld an der Gumbels Misere zu tragen hat, wurden vor der Versammlung durch eine genialen politischen Schachzug eines ewigen Ober Bürgers meisterlich ruhig gestellt – ein Montag unter den Linden! (Sorry Didi, der musste sein ;-)) In den Notvorstand wurden Jürgen Linden, Leo Führen, Hans Kaushen und auch Jörg Schmadtke gewählt, eine neue Versammlung für Januar 2002 angesetzt.

Das Sportliche soll hier aber nicht zu kurz geraten: In einem tollen Freitags Abendspiel besiegte Alemannia den Aufstiegskandiaten Arminia Bielefeld mit 3-2 durch zwei Tore von Thiery Bayock und es hagelte gelbe Karten – ein Wunder dass 22 Spieler auch beim Schlusspfiff noch auf dem Platz standen. Die Ankündigung des Gumbelrückzuges veranlasste dann viele Fans am nächsten Spieltag nach Duisburg zu fahren, dort setzte es allerdings eine herbe 0-5 Klatsche. Doch das nächste Highlight stand schon an: Mit Greuther Fürth kam auch Eugen zurück an den Tivoli, es war ein toller Empfang für den Ex Trainer! Im Nebel und mit dem roten Ball gewann der TSV verdient mit 2-1 und verschaffte den Fans zumindest etwas Genugtuung! Am Spieltag drauf gastierte die Alemannia in der alten Försterei bei den Eisernen – in diesem Spiel wollte Jörg Berger einen neuen Regisseur präsentieren, der unter der Woche beim TSV angeheuert hatte: Karl–Heinz Pflipsen. Es wurde nix aus einer erfolgreichen Prämiere, Union schoss Alemannia in der zweiten Halbzeit ab, ein Typ namens Christian Fiel drehte dabei auf Seiten der Berliner mächtig auf und trug mit zwei Toren maßgeblich zum 5-1 des Aufsteigers bei. Klatsche auswärts, Siege zu Hause: der KSC wurde mit 2-0 besiegt und auch Unterhaching ließ die Punkte in Aachen (3-1) danach ging es zum Abschluss der Hinserie nach Bochum.

Einen Tag nachdem die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen einen kroatischen Spielervermittler in der Kofferaffäre erhoben hatte, bahnte sich im Bochumer Ruhrstadion ein weiteres Debakel an. Schnell führten die Bochumer mit 3-0 ehe sich das Spiel etwas beruhigte und Kalla Pflipsen das 1-3 markierte. Als die Bochumer nach der Pause per Elfmeter die Führung wieder ausbauten drehte sich das Spiel plötzlich total. Alemannia eben noch mit dem Rücken zur Wand kam mächtig auf und verkürzte bis auf 3-4, als man dann kurz vor dem Ausgleich stand konterten die Bochumer zum 5-3 und das Spiel war verloren – mit 21 Punkten standen wir dicht an der Abstiegszone! Aber ein Spiel hatte das Jahr noch, ausgerechnet beim souveränen Spitzenreiter Mainz 05, die sich unter Klopp vom fast Absteiger zum Aufstiegskandidaten gemausert hatten. Die Mainzer machten das Spiel und wirbelten die Aachener Abwehr durcheinander dass man ein weiteres Debakel befürchten musste. Dann gab es ungewohnte Hilfe von „oben“: Der Schiri wurde K.O. geschossen und durch seinen Assistenten ersetzt. Das verschaffte den Aachenern Luft und das Spiel konnte etwas ausgeglichener gestaltet werden! In der zweiten Halbzeit musste Thurk dann vom Platz und Alemannia kam durch einen tollen Freistoß von Ivo Grilc zum 1-0. Danach spielten sich turbulente Szenen ab: Mainz stürmte mit Macht auf den Ausgleich – Aachen konterte geschickt und vergab 100%ige Chancen mehr oder weniger tölpelhaft. Es blieb allerdings beim Auswärtssieg und damit bei einem versöhnlichen sportlichen Abschluss des Jahres 2001!

Neues Jahr neues Glück?

In der Winterpause holte Jörg Schmadtke den 19 jährigen Markus Daun aus Eschweiler von den Amateuren der Pillendreher an den Tivoli, auch die Vertragsamateure Bernd Rauw und Edwin Bediako wurden befördert. Damit standen eine ganze Menge von Vertragsamateuren in den Reihen der Profis – das sollte später noch mal eine Rolle spielen.

Mitten in die ansonsten ruhig verlaufende Vorbereitung platzte dann die Nachricht von Verhaftungen in der Kofferaffäre: Mark Rudan und Bernd Krings kamen hinter Gitter. Die Geschäftsstelle wurde ebenfalls durchsucht und die Staatsanwaltschaft gab bekannt, dass in dieser Affäre zwei Spielervermittler, ein Spieler wie auch der ehemalige Schatzmeister zum Nachteil des Vereins die 290.000 DM unter sich aufgeteilt hatten. Auch im Fall des australischen Beckham gab es „Betrug“ – der Fall nahm immer größere kriminelle Ausmaße an. Drei Tage nach der Verhaftung wurde dann das neue Präsidium Tim Hammer, Horst Heinrichs und Carlo Soiron mit dem neuen Präsidenten Theo Lieven gewählt, vor ihnen sollten ganz schwere Monate stehen!

Zurück zum Fußball: Als erster Gegner kamen die unter Trainer Ralf Rangnick stark aufspielenden und noch ungeschlagenen 96er zum Tivoli. In einer tollen, typischen Tivoli Partie mit starker Stimmung gab es mit 2-4 die erste Niederlage des neuen Jahres. Bemerkenswert dass die beiden Vertragsamateure Daun und Rauw für die Alemannia trafen und dass Schiri Lutz Wagner am Ende ein ähnlich dreckiges Trikot an hatte wie die 22 Akteure. Auf ging es nach Oberhausen, doch gegen die stark abstiegsbedrohten rot- weißen gab es eine herbe 0-4 Klatsche. Nur ein paar Tage später setzte es eine bittere 1-2 Niederlage gegen LR Ahlen auf dem Tivoli – nun war jedem klar dass es eine ganz enge Saison werden sollte. Trotz einem völlig desolaten Auftreten der Tivoli Kicker wurden unter Mithilfe von 4 (!) Vertragsamateuren 2-0 in Babelsberg gewonnen und es gab etwas Luft im Keller, weiter ging es mit einem glücklichen 1-1 in einem Stolperfestival gegen den SSV Reutlingen, allerdings erst durch ein Ausgleichstor von Bernd Rauw in der 93. Minute. Ein 1-3 in Mannheim ließ die Aachener weiterhin im Keller stecken. In der folgenden Woche meldete sich erstmals der neue Vorstand Carlo Soiron zu Wort und berichtete von einer mehr als Besorgnis erregenden Finanzlage der Alemannia, wie ernst das sollte sich erst ein paar Wochen später konkretisieren.

Ein 1-0 im Zitterspiel gegen Schweinfurt 05 ließ den Abstand auf die Abstiegsplätze etwas wachsen, allerdings gab es direkt danach in Saarbrücken eine eher peinliche Niederlage. Dann folgte ein toller Auftritt gegen Eintracht Frankfurt auf dem Tivoli mit einem verdienten 2-1 Sieg gegen die Hessen, auch hier wurden wieder zu viele Vertragsamateure eingesetzt.

Nach diesem Spiel kommt dann der Schock: Carlo Soiron verkündet dass die Alemannia so gut wie insolvent ist. Kurzfristig brauchte der Verein ca. 1 Millionen €, es geht um Verbindlichkeiten und Steuerschulden aus der Gumbel Zeit. Am Samstag nach dem Spiel auf der Alm (1-4) kommt es zu einer groß organisierten Sammelaktion für die Alemannia in der Aachener Innenstadt. Die Spendenbereitschaft ist groß, viele Fans lassen sich als neue Mitglieder registrieren – es gibt aber auch andere Stimmen: wütende Passanten beschimpfen die mit Sammelbüchse ausgerüsteten Fans. Es wird eine knappe Kiste, aber die Rettung erster Teil gelingt. Die Niederlage in Bielefeld hat die Alemannia aber wieder gefährlich nahe an die Abstiegsränge gebracht so dass im folgenden Heimspiel gegen Duisburg unbedingt ein Sieg her muss. Vor dem Spiel wird die vorläufige Entwarnung in Sachen Finanzen gebracht, einem Alemannia Verhandlungsteam gelang die Einigung mit der Steuerbehörde des Landes NRW in letzter Sekunde, eine Rückzahlung der Steuerschulden wurde auch „erfolgsabhängig“ vereinbart. Der MSV wurde mit 2-1 (trotz des obligatorischen Marius Ebbers Gegentores) besiegt und es sah so aus als wäre Alemannia auch sportlich gerettet. Doch eine 0-3 Klatsche in Fürth (gegen Eugen) und eine weitere, bittere 1-2 Heimniederlage gegen Union Berlin ließen Aachen auf Platz 14 der Tabelle fallen, zwar mit 5 Punkten Vorsprung auf Unterhaching, aber mit einem Restprogramm das keine Punkte mehr versprach: Auswärts gegen die Mitabstiegskonkurrenten Karlsruhe und Unterhaching, zu Hause gegen den VfL Bochum, der noch Außenseiterchancen auf den Aufstieg besaß.

Im Karlsruher Wildpark erlebten die mitgereisten Fans eine Partie die nichts für schwache Nerven war. Mit zwei nahezu identischen Kontern über die rechte Seite schossen Jupp Ivanovic und Markus Daun die Alemannia mit 2-0 in Front. Aachen beherrschte das Spiel nun und kam spielerisch leicht zu weiteren Chancen – diese blieben leider ungenutzt. Kurz vor der Pause erhöhte der KSC – selbst in Abstiegsnöten – den Druck und kam zum 1-2 Anschlusstreffer. Die zweite Halbzeit war eine Abwehrschlacht, zu allem Überfluss sah Ivo Grilc auch noch gelb rot, so dass Aachen knapp 25 Minuten in Unterzahl agieren musste. Mehrmals stockte den mitgereisten Fans der Atem, aber es reichte am Ende zum Sieg. Die Konstellation der letzten Spiele war so dass die anderen Abstiegskandidaten sich gegenseitig die Punkte wegnehmen würden und das bedeutete dass Alemannia mit diesem Sieg gerettet war – nicht wenige Fans heulten hemmungslos auf den Stufen des Fanblocks im Wildparkstadion!

Aber das war beileibe noch nicht das Ende dieser Saison – es gab noch ein paar Knaller! In der Woche nach dem Sieg in Karlsruhe bekam ein pflichtbewusster Redakteur einer Aachener Zeitung Wind von der „Vertragsamateuraffäre“ – Aachen hatte in der Saison mehrmals zu viele Vertragsamateure ohne Genehmigung eingesetzt. Statt diese Erkenntnis zu belächeln und das Papier in den Mülleimer zu knüllen veröffentlichte die Zeitung pflichtbewusst einen Bericht über diese Regelverstöße, natürlich mit der Frage ob denn die Punkte nun am grünen Tisch verloren gingen und für Alemannia doch den Abstieg bedeuten könnten. Das alles vor dem Spiel gegen Unterhaching, der Hauptkonkurrent um den letzten Abstiegsplatz und mit einem Staatsanwalt als Präsidenten! Nun die Einspruchsfristen waren glücklicherweise verstrichen und die Affäre blieb eine Affäre und Unterhaching stieg trotz eines Sieges gegen die Alemannia ab!

Konsequenterweise kam in der Woche drauf Präsident Theo Lieven mit einem Koffer voller Geld auf die Geschäftsstelle (die Abstiegsprämie für die Mannschaft – aus seinem Privatvermögen) und legte sein Amt nieder, das war wohl alles zu viel des Guten für den VOBIS Gründer. Es übernahm Horst Heinrichs als Präsident, Tim Hammer rückte als „Vize“ auf, Peter Appel als viertes Präsidiumsmitglied nach.

Ein Spiel gab es auch noch: Bochum siegte mit 3-1 in einer sensationell hektischen Atmosphäre auf dem Tivoli und sicherte sich vor 6.000 mitgereisten Fans den Aufstieg, weil Mainz 05 gleichzeitig in Berlin verlor. Lange standen beide Spiele auf der Kippe, erst in der Endphase setzte sich der VfL durch, nicht bevor ein überforderter Schiri Weiner zwei Spieler vom Platz warf und auch die beiden Trainer auf die Tribüne schickte. Als die Bochumer Fans nach dem Spiel den Tivoli Rasen stürmten und irgendjemand vergaß das Tor zum S-Block abzuschließen gab es auch noch eine handfeste Keilerei zum passenden Abschluss einer unfassbaren Saison!

Ein paar €’s musste Alemannia noch aufbringen um die Lizenz für die nächste Saison zu erhalten, aber dank Sponsoren, Freunden und den Fähigkeiten des Geschäftsführers Bernd Maaß, Lizensierungsverfahren der DFL erfolgreich durchzuführen gelang auch das und der TSV durfte eine weitere Saison in der zweiten Liga spielen! An einen Aufstieg, Pokalfinale oder gar UEFA Cup dachte in diesem Moment wohl niemand…

Fortsetzung am 07. Januar, 10:00 Uhr

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